Asian Kung-Fu Generation's interviews
Zoom Japan 022
Alissa Descotes-ToyosakiDie japanische Regierung hat sich entschieden, die 20 km verbotenes Gebiet um das Kernkraftwerk Fukushima-Dai-ichi allmählich wieder zugänglich zu machen. Was halten Sie von dieser Entscheidung?
Masafumi GotohEs ist sehr schwierig, eine umfassende Meinung zu dieser Angelegenheit zu haben. Wenn es um einen Freund von mir oder ein Familienmitglied geht, würde ich ihnen sagen, dass es nicht sehr sinnvoll wäre, im Moment zurück in das Gebiet zu gehen, da wir immer noch nicht genug Informationen haben. Aber ich kann mir nicht erlauben, dies auch zu jemandem zu sagen, den ich nicht kenne. Ich versuche, mich in die Leute, die dort gelebt haben und zurück gehen wollen, hinein zu versetzten, aber gleichzeitig schätze ich auch die Risiken für die Gesundheit ab. Alles, was ich mir wünsche, ist, dass wir diese Gegend erneuern, auch, wenn es 100 Jahre dauert. Ich finde, dass der Fukushima-Präfektur nicht zugedacht ist, verlassen zu sein, aber sie kann im Gegenteil dazu benutzt werden, neue Technologien zu entwickeln.
Alissa Descotes-ToyosakiViele Mütter wollen mit ihren Kindern die Gebiete verlassen, so wie es auch in Fukushima City war. Finden Sie, deren Evakuierung sollte von der Regierung unterstützt werden?
Masafumi GotohIch finde, Leute, die weggehen wollen, sollten auch die Möglichkeit haben, dies zu tun. Wir sind in einer Situation, in der es, schon wieder, schwierig ist, Dinge abzuwägen. Viele Mütter haben sich zum Beispiel auch entschieden, zu bleiben. Was mich betrifft, so kann eine Ansicht andere nicht anderen aufzwingen. Ich gebe zu, ich bin immer noch sehr zögerlich bei diesem Thema. Beispielsweise habe ich überlegt, ein ganzes Gebäude in meiner Heimatregion von Shizuoka zu mieten, um den Flüchtlingen zu helfen. Aber bei dem Fall von Fukushima geht es nicht um ein paar Familien, sondern um fast 2 Millionen Flüchtlinge. Wir können nicht die ganze Präfektur evakuieren. Auf der anderen Seite, wenn wir über die Kinder und die Probleme und alles, was sie riskieren, nachdenken, ist es unerträglich. Die Evakuierung ist ein ernsthaftes Problem, welches die Frage nach der Verantwortung der Regierung aufwirft, die dazu neigt, im Fall einer Umweltkrise die Auswirkungen immer zu vertuschen. Dies ist ein Vorgang in Japans Gesellschaft, welcher verändert muss.
Alissa Descotes-ToyosakiAlso wünschen Sie sich, das Bewusstsein der japanischen Bevölkerung durch Publikationen wie "The Future Times" zu wecken?
Masafumi GotohJa, diejenigen, welche unsere Musik hören, sind junge Leute. Sie werden aufs College gehen und ihr Berufsleben in den nächsten zehn Jahren beginnen. Aber jetzt ist die Zeit in der wir mit ihnen reden und sie aufmerksam machen müssen. Die momentane Situation von Japan kam nicht auf einmal. Sie ist das Resultat etlicher dutzend Jahre von Führung. Deswegen ist es notwendig, die morgige Generation vorzubereiten.
Alissa Descotes-ToyosakiKürzlich haben sie die Anzahl der Demonstranten gegen den Neustart des Ôi-Atomkraftwerkes angegeben. Momentan scheint die Anzahl von 11000 lächerlich gegenüber der bei Demonstrationen in anderen Ländern. Warum wird in Japan so selten demonstriert?
Masafumi GotohDies ist eine andere Frage, die mich sehr peinigt! Wir Japaner pflegen zu sagen "die Luft lesen", das heißt, sie riechen sozusagen die allgemeine Atmosphäre bevor sie einen Beschluss treffen. Sie mögen es nicht, aufzufallen oder Ärger zu bereiten. Die Bildung hat mit dieser Art von Verhalten auch sehr viel zu tun, denn in der Schule bekommen wir beigebracht, nicht aus der Reihe zu tanzen. In diesem Zusammenhang ist eine Demonstration von 11000 Leuten vor dem Premierminister eine große Sache in Japan!
Alissa Descotes-ToyosakiIn einem Interview der "The Future Times" hat Ryûichi Sakomoto den Begriff "hisen" wachgerufen, welcher wörtlich "kein Krieg" bedeutet, ein Begriff, der noch deutlicher als das übliche Wort "taisen" ist, was "gegen Krieg" heißt. Nähert jene globale Aktion gegen die Kernenergie sich dieser friedlichen Vorstellung?
Masafumi Gotoh3 Millionen Japaner verloren ihr Leben im Zweiten Weltkrieg. Zudem ist Japan immer noch unbeliebt bei vielen asiatischen Ländern, auch nach 70 Jahren Frieden. Was ich sagen will, ist, dass für uns, die in den 70ern geborene Generation, die Demonstrationen, welche in den 60ern für den Frieden und gegen den japanisch-amerikanischen Sicherheitsvertrag gehalten wurden, nicht einmal mehr greifbar sind. Wir denken eher, dies sind genau die Leute, welche in den großen Firmen Macht besitzen. In dem Zusammenhang von "heiwa-boke", wo Leute eher vom Frieden betäubt sind, sind antinukleare Demonstrationen, welche letztes Jahr begannen, eine Rückkehr ohne Beispiel. Natürlich gibt es friedliche Kämpfer, welche schon viele Jahre an Demonstrationen teilnehmen, aber für die jüngsten ist es das erste Mal. Auch ich fühle mich beschämt dies zu sagen, doch an meiner ersten Demonstration habe ich vor zwei Monaten teilgenommen, und das in einem Alter von 36 Jahren! Für uns ist es wie eine Lehrstelle, wo man am Anfang die Meinung anderer ignorieren muss. Denn, in Japan sehen wir Demonstranten wie seltsame oder sogar gefährliche Rohlinge an. Deswegen geben die Veranstalter alles, damit alles gut organisiert ist und ohne schlechtes Benehmen vonstattengeht. Ihr Ziel ist es, zu zeigen, dass die Demonstranten keine Terroristen sind. Außerdem können sie auch das Vertrauen von heranwachsenden Menschen, welche später vielleicht auch demonstrieren, gewinnen. Ich selbst sage mir manchmal, dass ich eine Rede während einer dieser Demonstrationen halten sollte, weil ich diese Informationen indirekt an die über 99000 Fans, die mir auf Twitter folgen, übermittle. Aber ich kann es immer noch nicht machen. Ich sage mir selbst, dass, wenn ich dies tue, mich durchaus eine Menge Leute kategorisieren würden und "The Future Times" ihre Glaubwürdigkeit verlieren würde. Das ist traurig, aber so ist es nun mal jetzt. Manchmal wünsche ich mir, ich hätte das Urteil von Fremden, die uns unterweisen, wie man Demonstrationen aktiver organisiert!
Alissa Descotes-ToyosakiSie haben gemeinsam mit Ryûichi Sakomoto das Festival "No Nukes 2012" organisiert, welches am 7. und 8. Juli gehalten wird. Werden Sie dort eine Rede halten?
Masafumi GotohJa, ich denke, jeder Musiker wird etwas sagen. Dies ist eine Veranstaltung, entstanden durch Sakamoto’s Initiative. Bei dieser wird jeder Rechnungsbeleg zu der Organisation "10 Millionen Unterschriften, um der Kernenergie 'Auf Wiedersehen' zu sagen" gehen, welche Demonstrationen veranstaltet, um den Ausstieg aus der Atomenergie zu befürworten. Ich selbst werde das Lied "N2" singen, das ich nach dem 11. März 2011 komponiert habe. Es ist leichter für mich, zu singen, als Reden zu halten.
Alissa Descotes-Toyosaki"The Future Times" erkennt den erneuerbaren Energien eine große Bedeutung an. Denken Sie, dass Japan diesen Weg gehen wird, ungeachtet des Neustarts des Ôi-Kernkraftwerkreaktors?
Masafumi GotohAuf jeden Fall finde ich, dass Japan so schnell wie möglich aus der Kernenergie austreten sollte. Ganz allmählich haben sich die Leute den erneuerbaren Energien zugewandt, auch, wenn diese ein wenig teuer sind. Wenn die Regierung sich entscheidet, die Reaktoren neu zu starten, werden die meisten Leute aus der Atomenergie austreten wollen. In einem seismischen Land ist das Risiko zu hoch. Dies ist jedem klar geworden. Anderseits gibt es viel zu tun, um Energie, vor allem in Tôkyô ,sparen zu können. Sogar die Rampen der Rolltreppen sind nachts erleuchtet. Wofür denn? Es gibt auch viel Arbeit mit Architekten, Designern und jedem, der mit dem Planen von Städten und Bebauung zu tun hat, zu erledigen. Dies sind die Leute, die dazu beitragen, über die Umwelt nachzudenken. Wir alle haben eine Funktion, um über die Welt von morgen nachzudenken.